- Lügendichtung
- Lü|gen|dich|tung 〈f. 20; Lit.〉 volkstüml. Erzählung unmögl. od. stark übertriebener Begebenheiten, z. B. die Geschichte des Barons v. Münchhausen
* * *
Lügendichtung,Dichtung, bei der im Unterschied zu anderen fantastischen, märchenhaften oder symbolisch-allegorischen Dichtungen (Märchen, Legende, Fabel usw.) die Fiktion als Lüge, als spielerischer Affront gegen einen von der Dichtung ohnedies nicht einlösbaren Wahrheitsanspruch erkannt wird. Dabei ist Lügendichtung stets an historische Wahrheitsbegriffe und Wahrheitsansprüche gebunden, die durch ihre radikale Umkehrung ins Unglaubhafte zugleich kritisiert oder karikiert werden können. Lügendichtung kann einmal das Lügen selbst zum dichterischen Verfahren machen, wie es insbesondere im Lügenroman geschieht. Kennzeichnend sind die Perspektiven der Icherzählung, pikareske Episodenfolge und oft das Handlungsschema des Reiseberichtes (so bei Lukian, 2. Jahrhundert, die orientalischen Abenteuer Sindbads, die wunderbaren Reisen K. G. H. Freiherr von Münchhausens) oder Lügenmärchen (so z. B. die deutsche Bearbeitung des »Schneekind«-Stoffes im Mittelalter; »Modus liebinc«, lateinische Bearbeitung im 10./11. Jahrhundert) und Wunschlügenerzählungen wie die vom »Schlaraffenland«. Der Gattung des lügenden Erzählens stehen auf der anderen Seite zahlreiche Werke gegenüber, die in der Person des verlogenen Aufschneiders das Lügen als moralisch defektes Verhalten mit satirischer oder komischer Absicht darstellen: Von Plautus (»Miles gloriosus«, Uraufführung kurz nach 206 n. Chr.) über F. Rabelais (»Gargantua et Pantagruel«, 4 Bände, 1532-52; Band 5 herausgegeben 1564), A. Gryphius (»Horribilicribrifax«, 1663) und C. Reuter (»Schelmuffskys. .. Reisebeschreibung zu Wasser und Lande«, 2 Teile, 1696-97) bis hin zu A. Daudet (»Aventures prodigieuses de Tartarin de Tarascon«, 1872).* * *
Lü|gen|dich|tung, die (Literaturw.): erzählende Dichtung, die unwahrscheinliche od. fantastische Geschichten zum Inhalt hat.
Universal-Lexikon. 2012.